Eine positive Bilanz zogen in dieser Woche die am Northeimer Bündnis zum 5.5. beteiligten Organisationen nach Abschluss der Aktionen zum Protesttag der Menschen mit Behinderung. Unter dem von der Aktion Mensch ausgegebenen Motto „Tempo machen für Barrierefreiheit“ hatten die Organisatoren fünf politische Verantwortungsträger*innen aus der Region eingeladen, Erfahrungen mit Inklusion zu machen und Barrierefreiheit im Alltag zu prüfen. Mitglieder der Beiräte für Menschen mit Behinderung des Landkreises und der Stadt Northeim sowie aus Selbsthilfegruppen und der Elterninitiative EIFER e.V. begleiteten gemeinsam mit Mitarbeiter*innen des DRK Göttingen Northeim e.V., der EUTB Northeim, der Selbsthilfekontaktstelle ZISS und von Po Inklusion e.V. die Aktionen an drei Wochenenden Ende April und Anfang Mai.
„Barrierefreiheit ist alles“, brachte es Lukas Seidel (Pro Inklusion) zu Beginn der Aktion in Northeim auf den Punkt. Wie sich Barrieren im Alltag konkret anfühlen, erfuhren die Bundestagsabgeordneten Frauke Heiligenstadt (SPD) und Karoline Otte (Grüne) während ihrer zweistündigen Exkursion mit dem Rolli durch Northeim. Simon Hartmann (Bürgermeister Northeim) war mit Augenbinde und Blindenstock unterwegs. Begleitet wurde jede der drei Personen von einer Peer-Person, die mobilitätseingeschränkt oder blind ist. Alle drei äußerten in einer Auswertungsrunde Respekt und Wertschätzung für Betroffene, die täglich bauliche oder sonstige Barrieren zu meistern haben. Northeims Bürgermeister machte die Erfahrung, dass ihm beim Blindenexperiment das Gefühl für Raum und Zeit in seiner Heimatstadt abhanden kam, und er spürte eine große Verunsicherung. Es gelang ihm auch nicht, Geld am Bankautomaten abzuheben.
Frauke Heiligenstadt holte sich Blasen an den Handflächen beim Versuch, mit dem Rolli über das Pflaster in der Fußgängerzone zu manövrieren. Mehrfach blieb sie stecken oder stand vor unüberwindlichen Stufen. Heiligenstadt reflektierte innere emotionale Barrieren, etwa sich selbst mit Rolli als störend im Straßenverkehr zu empfinden. Karoline Otte erlebte, dass der Notruf in einer öffentlichen Toilette nicht funktionierte. Als wertvolle Erfahrung hielt sie fest, es sei wichtig, dass nicht nur betroffene Personen auf mangelnde Barrierefreiheit im öffentlichen Raum hinwiesen und dass möglichst viele Entscheidungsträger*innen eine solche Selbsterfahrung machen sollten. Alle drei Politiker*innen wollen zukünftig dem Thema Barrierefreiheit größeres Augenmerk geben, insbesondere in Gesprächen mit Wirtschaft und Behörden. Sie betonten, dass sie in Geschäften und auf dem Wochenmarkt viel Freundlichkeit und Entgegenkommen erlebt hätten, aber eben auch unüberwindliche Hürden. Gemeinsam mit den Peers wurde eine Liste von Barrieren in der Northeimer Innenstadt erstellt, die die Beiräte für Menschen mit Behinderung in Northeim und im Landkreis in politische Dialoge einbringen werden.
Mareike Wulf (CDU, MdB) und Christian Grascha (FDP, MdL) nahmen an zwei Veranstaltungen mit Freizeitgruppen von jungen Menschen mit Behinderung des DRK Göttingen-Northeim teil. Mareike Wulf begleitete die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei einer Wanderung im Hochmoor bei Silberborn. Dabei übernahm sie eine Assistenzfunktion für Personen mit Lernbehinderung oder körperlicher Einschränkung. Gemeinsam erprobte Wulf mit einer Tandempartnerin, sich mit verbundenen Augen in der Landschaft zu bewegen und sich auch einmal führen zu lassen. Die Bundestagsabgeordnete äußerte, es sei ein Gewinn, verschiedene Facetten von Behinderung persönlich kennengelernt zu haben.
Christian Grascha traf eine Freizeitgruppe des DRK am Rande des Einbecker Bierstadtlaufs und führte intensive Gespräche mit den Teilnehmenden und auch mit begleitenden Eltern. Seit einigen Jahren ist jeweils eine Gruppe des Familien entlastenden Dienstes des DRK Göttingen-Northeim beim Bierstadtlauf dabei. In diesem Jahr stellte sie die größte Gruppe von Teilnehmenden. Grascha befragte Jugendliche und junge Erwachsene nach ihren beruflichen Perspektiven und Wünschen für ihr Leben. Viele schätzen die Arbeit in der WfbM und das soziale Miteinander dort. Die Eltern thematisierten vor allem mangelnde Unterstützung durch Assistenzleistungen für ihre Kinder und die Personalknappheit in den Assistenzdiensten.
Bei der Auswertung der Aktionen zum 5.5. beschlossen die Aktiven, einen Barriere-Check der Innenstädte im Herbst auch in Einbeck und in Uslar anzubieten. Politische Verantwortungsträger*innen sind schon jetzt herzlich zu den Selbsterfahrungs-Experimenten eingeladen.
Für Fragen steht Frau Grebe-Deppe unter 0160 6100693 zur Verfügung.